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berlin

Oskar-Peter sorgt vor


Der Nachname tut nichts zur Sache.
Oskar-Peter lernte ich im Zug kennen. Wir saßen uns gegenüber und schauten zum Fenster hinaus. Er sah dem Kommendem entgegen, ich sah dem Verschwindenden hinterher.
Später, nach einem Halt in einem der selten verbliebenen Sackbahnhöfe, drehte sich die Fahrtrichtung um. Da fragte er mich, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn wir den Sitz wechseln würden, er hielte es schwer aus, mit dem Rücken gegen die Fahrtrichtung zu sitzen.
Wir wechselten den Platz und kamen ins Gespräch.


Er fuhr in den Norden Deutschlands, um einen Kaufvertrag für den Erwerb einer „unnützen Wiese“, wie er es nannte, zu unterschreiben.
Er sprach, anfangs zögerlich, später wurde er immer gesprächiger, ja richtig gehend vertraulich, wie es bei Zufallsbegegnungen, die einmalig bleiben, oft geschieht. Auf das moralische Urteil eines solchen Zuhörers, eines Zugfremden, legt niemand ernsthaft wert, denn der nächste Bahnhof kann schon das Ende des Gespräches sein, eines Gesprächs, das nie mehr weiter geführt werden wird. Diese Gesprächsanonymität erzeugt Offenheit wie Sicherheit.
Er kaufe Gelände, Äcker, unnützes Brachland, gern auch echtes Ödland, sumpfige oder saure Wiesen, erzählte er. Ein Stück Erde, das niemand mag, an dem weder landwirtschaftliches noch sonstiges Interesse hänge. Die einzige Bedingung für ihn sei, dass das Objekt circa 60 Meter über dem Meeresspiegel liege.


Ich würde dies vielleicht komisch finden, dass er solches Land kauft, verstreut über ganz Norddeutschland. Wie ein Sämann sein Saatgut mit leichter, geübter Hand geschickt verstreut, so würde er das Land klug verstreut aufkaufen, auch seine Saat würde eines Tages blühend aufgehen.
Er hätte gar nicht gewusst, wie viel Ödland es gäbe, erst seitdem sein Interesse an solchem Landgerümpel geweckt worden wäre, hätte er das mitbekommen, wo überall nutzloser Boden herum liege. Eigentlich müsse man es nur aufsammeln und einstecken.


Die meisten Eigner wollten es loswerden, wissen oft gar nicht, dass sie solche Flächen besitzen und seien froh, wenn sie Bares für ihr nutzloses Land bekämen.
Zuhause in seinem Büro hinge eine Landkarte von Norddeutschland an der Wand, auf der für jedes Gelände ein Fähnchen stecke.
Er sei Autoreifenhändler, hätte 5 Filialen. Das Geschäft liefe hervorragend. Sein neuestes Produkt seien ökologische Autoreifen. Viele, die Elektro-Autos kaufen, hätten einen Umweltfimmel und würden solche Reifen kaufen. Er sei keiner von den Umwelttypen, die an den Unsinn von Klimaveränderung oder so was glauben, mit ihnen mache er aber gute Geschäfte.
Dann fragte er mich, ob ich nicht auch in oder um Berlin Land wisse, dort gäbe es doch so viele unbewirtschaftete Sandböden. Er las davon, dass Teile von Brandenburg sich zu einer Sandwüste entwickeln würden. Ob ich da nicht ein paar kleine Stücke für ihn wisse, die er aufkaufen könne? Unnütze Flächen, zu nichts tauglich, abgelegen, die bestimmt nie bebaut würden, auch ganz versteckte, abseitige Grundstücke, wo kein Weg hinführt, diese seien ihm sehr lieb, von ihm begehrt.
Er sei großer Befürworter von Nachhaltigkeit, sagte er. Sein Großvater hätte einen Wald gepflanzt, eigenhändig für seinen Enkel, für ihn. Sein Vater hätte auch einen Wald geerbt von seinem Großvater. Nachhaltigkeit sei von alters her Tradition in seiner Familie. Das liege bei ihnen in den Genen.


Er kaufe die ganzen Grundstücke nur für seine Urenkel, und er denke noch weiter, auch für die Enkel seiner Urenkel.
Er las einmal ein Buch über den Kaufmann Fugger aus Augsburg und dort stand, dass die Nachfahren Fuggers noch heute von dem Vermögen des Kaufmanns von damals gut lebten. Das solle ich mir vorstellen. 700 Jahre sei das nun her, so nachhaltig und umsichtig hat der alte Fugger gewirtschaftet.
Er glaube nicht an das ganze Umweltgedöns, an den Umweltuntergang. Das sei alles total übertrieben und Unsinn.
Probleme gäbe es immer schon mit der Natur. Die Natur sei das Problem, nicht der Mensch. Der Mensch sei ja auch nur Natur. Die Natur sei selbstheilend, daher sei alles halb so schlimm. Er hätte nichts gegen die Natur, im Gegenteil. Daher kaufe er ja die Grundstücke, verteilt in ganz Norddeutschland, weil er an die Natur glaube, an die Zukunft.


Das Ganze mit der Erderwärmung sei doch Quatsch. Es gebe doch schon immer Warmzeiten oder Kaltzeiten und immer Anpassung des Menschen daran. Daher hätte man ja Klimaanlagen erfunden.
Er sei vorsorglich und kaufe die Grundstücke für seine fernen Nachkommen. Denn wenn es keine Gletscher mehr gäbe und die Pole geschmolzen seien, dann würde das Meer um 6o Meter steigen, wie es nach der letzten Eiszeit sogar um 100 Meter gestiegen sei. Man soll da letztlich nicht so empfindlich sein, alles sei schon dagewesen. Die jungen Leute, die da protestieren, hätten keine Ahnung. Die sollten erstmal für sich selbst sorgen, Vorsorge treffen und nicht so viel krakeelen.
Auf jeden Fall kaufe er die Grundstücke, denn dann, wenn es so weit ist, seien seine Grundstücke beste Seegrundstücke an hervorragenden Meeresküsten, an reizvollen Lagunen, darauf achte er ganz genau. Er säße öfter auf seinem Land und höre schon das Meeresrauschen, die Möwen schreien und Kinder im Sand spielen. Es seien ideale Standorte für Hotelanalgen, Feriensiedlungen oder ähnliches, was eben in der nahen, fernen Zeit am Meer gebaut wird. Genau wisse er das ja nicht, da möchte er seinen Nachkommen nicht vorgreifen.


So was nenne man eine Investition in die Zukunft, was er mache, und das sei viel mehr wert, als das ganze Umweltgequatsche.
Unser Zug hielt nun in Berlin Südkreuz und ich musste aussteigen, verabschiedete mich von ihm und wünschte ihm noch viel Erfolg und prächtige Grundstücke.

 

Veröffentlicht in : »die horen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik« Bd. 288
"wie die sonne die wiese" Zusammengestellt von Andreas Erb und Christof Hamann